Ein Loblied auf das Problem

Probleme sind wie Dünger für unser Gehirn. Gehen wir richtig damit um, dann wachsen wir. Gehen wir ihnen aus dem Weg, verkümmert alles, was wir zum guten Leben brauchen. LIBERTY!NG zeigt eine Möglichkeit des positiven Umgangs mit Problemen auf. Wir lieben nämlich Probleme.

Das Problem hat es ja nicht leicht in unserer Zeit. Es wird allenthalben negativ betrachtet und eigentlich würden es viele gern gänzlich vermeiden. Manche meinen sogar, dass man es komplett durch ein anderes Wort ersetzen solle. So gäbe es keine Probleme, sondern nur «Herausforderungen». Das hört sich zwar sportlicher an, löst aber das Problem nicht.

Ein Problem ist ein Problem. Wie wir es bewerten, ist unser eigener Beitrag zum Leben.

Ein Problem ist ein Problem und das ist schlicht und einfach die Abweichung der Ist-Situation von der Soll-Situation, ohne im Augenblick zu wissen, wie man vom Ist zum Soll kommt.

Oder anders formuliert: Das Problem ist es ein Zustand, den wir ändern wollen. Es fehlt gerade nur die Idee, wie das gehen soll. Ob das nun schlecht oder gut ist, herausfordernd oder stressig, das entscheiden wir selbst, indem wir die Situation nämlich beurteilen.
Hilft uns dieses «Beurteilen»?

Möglicherweise kommen wir durch unsere Bewertung zu dem Ergebnis, dass es sich um ein «Scheissproblem» handelt. Das wäre in unserer zentraleuropäischen Gesellschaft, die auf Problemvermeidung ausgelegt ist, ein durchaus gängiges Ergebnis. Möglicherweise nicht ganz so drastisch ausgedrückt, aber doch so gemeint.

Diese Beurteilung bringt uns in eine emotionale Lage, die die Freude am Umgang mit dem Problem schon einmal reduziert. Wer arbeitet schon gerne an einem «Sch…problem». Und derart negativ eingestellt kommen dann auch kaum positive Impulse für die Problemlösung. Oder wie der Volksmund sagt: «Aus einem traurigen Arsch kommt selten ein fröhlicher Furz.»

Vielmehr werden wir – und auch das wäre dann eher typisch – nach einem Schuldigen suchen, der uns das Problem eingebrockt hat. Der soll das doch bitteschön wieder richten. Schon haben wir uns zum Opfer gemacht und jede Eigenständigkeit aufgegeben. Wir leiden bis zum St.-Nimmerlein-Tag, wenn der vermeintliche Problemverursacher nicht doch auf die Idee kommt, uns zu erlösen.

Problemlösung sieht tatsächlich anders aus.

Erkennt man eine Situation, die anders ist, als man sie gerne hätte, dann sollte man zunächst sachlich bleiben. Jede Problemlösung beginnt nämlich mit einer sachlichen Situationsanalyse. Der Problemlöser fragt zunächst: Was ist? Ohne jede Beurteilung geht es um belegbare Fakten. Vermutungen oder Unterstellungen ist hier fehl am Platze. Es besteht die Gefahr, dass schon an dieser Stelle eine Schublade aufgemacht wird, in die das Problem vermeintlich passt und man die leider nur vermeintlich richtige Standardlösung auspackt. Der Blick muss in dieser Phase der Problemlösung noch völlig analytisch und auf die Sache bezogen bleiben.

Hat man die Ist-Situation klar vor Augen, prüft man die Soll-Situation. Dabei stellt man sich diese Frage: Was unterscheidet das Ist vom Soll? Es geht immer noch um Fakten. Was ist rein sachlich anders?

Erst, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, beginnt man mit dem zweiten Schritt. Es folgt die persönliche Problemanalyse. Vorab sei hier die frohe Botschaft verkündet, dass bei vielen Problemanalysen bereits nach dem sachlichen Teil Schluss ist. Denn häufig ist rein sachlich betrachtet gar kein relevanter Unterschied zwischen Ist und Soll da. Man hat es aufgrund der frühzeitigen emotionalen Beurteilung nur nicht erkannt.

Sollte es aber doch eine ungünstige Differenz geben, stellt man sich die nächste Frage: Was hindert mich persönlich daran, den sachlichen Unterschied zwischen Ist und Soll aus dem Weg zu räumen». Und schon wieder eine gute Nachricht. Denn die Antwort ist häufig: «Nichts! Ich muss es nur tun, nachdem ich jetzt weiss, wo das Problem wirklich liegt.»

Stellt man hingegen fest, dass man nicht in der Lage ist, den Unterschied zu beseitigen, beginnt der kreative Prozess. Wir haben ein wirkliches Problem vor der Nase und dürfen kreativ nach Lösungen suchen.

Hier setzt nun der mit LIBERTY!NG beschriebene Prozess an. Es wird das Mind-Seeting durchlaufen, denn das Problem zu erkennen ist das Eine. An eine Lösungsmöglichkeit zu glauben, ist etwas Anderes. Ist man einer möglichen Lösung gegenüber positiv eingestellt, muss man auch in der Lage sein, sie zu sehen. Um den sprichwörtlichen «Wald vor lauter Bäumen» zu erkennen, benötigt man häufig einen Perspektivwechsel, der im Borderlining ermöglicht wird. Lösungsansätze reifen zu lassen, ist Gegenstand des Prototypings. Schliesslich kommen wir zum Coming-out. Wir haben eine Entscheidung für einen Lösungsweg getroffen und handeln. Die Problemlösung tritt in die Welt. Sie beginnt zu wirken.

Probleme sind unser Wachstumselixier

Manchmal durchläuft man den Prozess mehrfach. Auch die schönste Lösung muss nicht immer gleich funktionieren. Also setzt man wieder bei der Analyse an und hat nun schon Erfahrungen gesammelt. Der Lösung ist man so nah wie noch nie.

Bleibt man ausdauernd und zielorientiert, so wird irgendwann der Moment kommen, in dem man das Problem gelöst hat. Ein Glückgefühl! Und was dann passiert, ist lebenswichtig. Das schreibe ich so dramatisch, wie ich es meine. Unser Glückgefühl stammt nämlich aus dem Belohnungszentrum in unserem Hirn. Dieses sendet gewissermassen «Dünger» dorthin im Gehirn, wo die neue Lösung entstanden ist. Verknüpfungen und Nervenbahnen werden gefestigt. Wir lernen gerade. Das Hirn speichert diese Erfahrung, die uns positiv bestätigt, und eine neue Fähigkeit ist geboren. Wir sind gewachsen.

So kann es gehen. Häufig genug werden Probleme aber verteufelt, vermieden oder anderen zur Lösung überlassen. Das alles bewirkt, dass wir den Glücksmoment nicht erleben und die positive Erfahrung nicht zum Wachstum führt. Es wird aber etwas Anderes gespeichert. Wir lernen nämlich, dass wir es nicht geschafft haben. Oder sogar schlimmer: Das «Sch…problem» hat uns geschafft. Wachstum fällt aus. Die Opferhaltung wird stärker. Man selbst wird schwächer. Das nächste Problem macht noch mehr Angst.

Wir sollten deshalb jedes Problem als willkommene Möglichkeit des Lernens begrüssen. Und wenn es kniffelig wird, dann sollten wir dankbar sein, dass es das Schicksal gerade gut mit uns meint.

Oder wie wir eben sagen: Wir lieben Probleme!

LIBERTY!NG
Coming-out für deine Ideen

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